Der Sinn des Lebens nach dem Marxismus* ist es, den "neuen Menschen" zu schaffen. Es geht nicht um den Sinn für den einzelnen Menschen, sondern um den Sinn der Gattung Mensch. Der Sinn besteht in der Erschaffung einer anderen Wirklichkeit, einer klassenlosen Gesellschaft. Sinnvoll ist das Leben des Einzelnen, wenn es zur Aufhebung der Entfremdung des Menschen von der Welt beiträgt. Der Sinn des Lebens ist also von dieser Welt, es gibt keinen Gott, keine Transzendenz - Sinn wird nicht als ein Geschenk aufgefasst. Sinn gibt es im Hier und Jetzt, nicht in etwas Abstraktem. Der Mensch soll sich freimachen von Abhängigkeiten und sich gesellschaftlich frei verwirklichen. Der Sinn des Lebens wird bestimmt durch die gegenwärtige Wirklichkeit, durch die konkreten Lebensbedingungen des Menschen. Sinn wird durch Handlung erfüllt, in der Veränderung zu dem Ziel der klassenlosen Gesellschaft. Als historisches Wesen hat der Mensch die Möglichkeit der aktiven Geschichtsschreibung, der Beeinflussung der Geschichte auf das Endziel hin.

Nach dem Marxismus ist diese Veränderung notwendig, da der Mensch geschunden ist, von sich und der Welt entfremdet. Die Welt erscheint gespalten. Der Mensch findet sich in einer "sinnwidrigen Situation" wieder, er ist nicht ganz er selber. Aller Ursprung der Entfremdung wird in der Religion gesehen.

Religion gibt nach Marx illusorische Antworten. Gott wird gesehen als eine reine Projektion des Menschen. Diese Projektion ist irreal, nicht-existent. Gleichzeitig beinhaltet diese Projektion rein menschliche Eigenschaften, die aber Gott zugesprochen werden: "Das Wissen von Gott ist das Wissen des Menschen von seinem eigenen Wesen". Der Mensch macht sich also künstlich abhängig, spricht sich selber tatsächliche Eigenschaften ab und projiziert diese auf Gott. Damit entfremdet sich der Mensch von sich selber. Er meint, dieser Entfremdung zu bedürfen, um somit die sinnwidrige Wirklichkeit erklären und aushalten zu können. Tatsächlich muss er jedoch die sinnwidrige Wirklichkeit verändern, um dann sinngebend zu leben. Dazu muss er zunächst die Entfremdung von sich selbst überwinden, also der Religion abschwören. Der Mensch ist das höchste Wesen, nicht Gott. Es kommt darauf an, dem Menschen eine seiner Stellung angemessene Welt zu schaffen, in der er nicht mehr erniedrigt, verachtet und geknechtet wird.

Aufbauend auf dieser Selbstentfremdung kommt es auf weiteren Feldern der menschlichen Gesellschaft zu Formen der Entfremdung, vor allem in der Politik und Wirtschaft. So wird laut Marx der Mensch im Kapitalismus entfremdet von sich und den anderen Menschen durch die Produktionsmittel und die Produktion. Der Mensch produziert nicht mehr für sich, sondern für einen Lohn. Er entfremdet sich von dem Produkt seiner Arbeit und dem Zweck des Produktes. Durch Arbeit jedoch verwirklicht sich der Mensch. Wenn er sich von der Arbeit entfremdet, kann er sich nicht selbst verwirklichen und entfremdet sich von sich selbst. Privateigentum führt dabei zu einer Entfremdung auch von anderen Menschen. Es gibt die Menschen, die über Produktionsmittel und Kapital verfügen, und solche, die nur über ihre eigene Arbeitskraft verfügen. Die Spaltung der Gesamtheit der Menschen in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ist jedoch unnatürlich und sinnwidrig. Die Menschheit muss eins sein, Privateigentum jedoch spaltet sie. Zudem stehen auch die Besitzenden in einem Konkurrenzkampf miteinander, der auch die Gruppe der Besitzenden splittet. Auch innerhalb einer Gruppe kommt es also zu Entfremdungsprozessen der Menschen untereinander.

Marxismus zielt ab auf die Beseitigung der menschlichen Selbst- und Gruppen-Entfremdung, unter anderem durch Kollektiv-Eigentum und Religionsverzicht. Das Menschenbild wird grundsätzlich positiv beurteilt. Der Mensch ist nach Marx zur Arbeit bestimmt. Dies entspricht seiner Natur, über diese wird er erst natürlich und damit herrscht er über die Natur, wird also nicht mehr selber beherrscht. Der Mensch ist Individuum und Teil eines grösseren Ganzen zugleich. Der Mensch als Einzelwesen ist für die Gesellschaft unersetzbar, die Masse an Einzelwesen formt erst die Gesellschaft. Notwendige Bedingung für die Existenz einer Gesellschaft sind einzelne Menschen. Ein einzelnes Individuum jedoch ist ersetzbar. Dies ist auch notwendig, da der Tod das Individuum tötet, nicht aber die Gesellschaft. Als Einzelwesen jedoch geht der Mensch in der Gesellschaft auf und beeinflusst und prägt sie. Jede Einzelentscheidung hat den Sinn, über das Einzelne hinauszuschreiten zu den anderen, zu der Gemeinschaft: "Eine endliche Existenz kann nur als aktive Koexistenz mit der Welt sinnvoll erlebt werden, weil die Existenz, unabhängig vom Willen des einzelnen, von der Welt determiniert wird." 

* Den Marxismus gibt es nicht. Vielmehr gibt es verschiedene Interpretationen und Weiterentwicklungen der Lehre von Karl Marx, die auch widersprüchlich sind. Marxismus ist also ein Sammelbegriff. Zudem hat der Versuch, den Marxismus mit Leben zu erfüllen, zu unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen geführt, die teilweise nur noch wenig mit der Lehre von Karl Marx zu tun haben. Gerade der Marxismus jedoch hat sich intensiv mit der Frage nach dem Sinn des Lebens auseinandergesetzt.